Kontinuierliche Eigenüberwachung des Auftragnehmers
Im arbeitsteiligen Industrie‑ und Dienstleistungssektor ist das Miteinander von Eigen‑ und Fremdpersonal längst Normalität. Schon das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet mehrere Arbeitgeber zur Kooperation (§ 8 ArbSchG) und setzt damit voraus, dass jede Partei ein zuverlässiges Eigenüberwachungs‑ und Informationssystem betreibt, das sich nahtlos in die Risikosteuerung des anderen integriert. Die nachfolgende Ausführungen beleuchtet die Perspektive des Auftraggebers– und zeigt, wie sich seine jeweiligen Rechte, Pflichten und Interessen im gemeinsamen Dokumentations‑ und Kontrollregime der kontinuierlichen Eigenüberwachung der Fremdfirma verschränken. Die kontinuierliche Eigenüberwachung der Fremdfirma ist kein Selbstzweck. Für den Auftraggeber minimiert sie Haftungs‑ und Reputationsrisiken, sichert die Lieferkette und belegt verantwortungsvolle Unternehmensführung gegenüber Investoren und Behörden. Für die Fremdfirma schafft sie Marktzugang, betriebliche Effizienz und – nicht zuletzt – einen belastbaren Compliance‑Shield gegen Ordnungs‑ und Strafverfolgung. Dokumente sind dabei nicht bloß Papier, sondern die Datenspur, an der sich Reifegrad, Wirksamkeit und Integrität des Systems ablesen lassen. Wer Transparenz konsequent verankert, wird aus einem potenziellen „Pflichtenkorsett“ einen strategischen Wettbewerbsvorteil formen.
Eigenüberwachung als Bestandteil der Qualitätssicherung
Der Auftraggeber bleibt ungeachtet der Auslagerung betrieblicher Tätigkeiten Arbeitgeber am Ort. Er haftet aus § 618 BGB und deliktisch (§§ 823 ff.) für Organisationsmängel, sofern er die Auswahl, Unterweisung oder Überwachung der Fremdfirma vernachlässigt. Verstöße gegen öffentlich‑rechtliche Pflichten führen zu Bußgeldern nach § 25 ArbSchG und – seit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz 2024 – zu behördlichen Schwerpunktprüfungen auf Grundlage einer bundeseinheitlichen Mindestbesichtigungsquote von fünf Prozent. (bmas.de)
Strategische Motive für Eigenüberwachungsanforderungen
Risikotransparenz: Nur wenn der Auftragnehmer permanent misst, dokumentiert und meldet, kann der Auftraggeber seine Koordinations‑ und Steuerungspflichten erfüllen und etwaige Störungen der Wertschöpfungskette frühzeitig erkennen.
Compliance‑Defence: Der Bundesgerichtshof erkennt ein wirksames Compliance‑System als bußgeld‑ und strafmildernd an (BGH 1 StR 265/16). Ein dokumentiertes Eigenmonitoring der Fremdfirma ist dafür zwingender Bestandteil. (d-nb.info)
Lieferkette & ESG: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verlangt laufende Risikoanalysen und Abhilfemaßnahmen auch gegenüber unmittelbaren Vertragspartnern. Konsequentes Fremdfirmen‑Monitoring ist damit zu einem ESG‑Kriterium und Vergabefaktor geworden. (bmas.de)
Auswahl‑, Steuerungs‑ und Auditprozess
Pre‑Qualification durch Selbstauskunft, Zertifikate (DIN 77200‑1, ISO 45001) und Referenzen.
Vertragliche Verankerung eines Eigenüberwachungs‑Pflichtenprogramms, inkl. Meldefristen, KPI‑Katalog, Eskalationsstufen und Sanktionsmechanismen (Vertragsstrafe, Leistungsverweigerungsrecht).
Inbetriebnahme‑Audit zur Plausibilisierung von Gefährdungsbeurteilungen, Betriebsanweisungen und Qualifikationsnachweisen.
Laufendes Performance‑Monitoring via Dashboard; Review‑Meetings in festgelegten Intervallen.
Joint Management Reviews, um Wirksamkeit, Zielerreichung und neue Rechtsänderungen (z.B. CSDDD) zu bewerten.
Kerndokumente aus Sicht des Auftraggebers
Dokumententyp
Zweck
Prüfschwerpunkt
Mindestaufbewahrung*
Bemerkung
Gefährdungsbeurteilung (GBU)
Risikoerkennung
Vollständigkeit, Aktualität
10 Jahre
§ 6 ArbSchG analog
Audit‑Checkliste & CAPA‑Protokoll
Abweichungsanalyse
Fristgerechte Maßnahmen
10 Jahre
CAPA = Corrective & Preventive Action
KPI‑Dashboard
Performance
Schwellenwerte, Trends
3 Jahre
Exportierbare CSV‑/JSON‑Formate
Unterweisungsnachweise
Regressabsicherung
Teilnahmedichte
2 Jahre
Digital signiert
Ereignis‑/Störmeldungen
Lessons Learned
Root‑Cause
5 Jahre
Echtzeit‑Schnittstelle
Aufbewahrungsfristen richten sich nach §§ 257 HGB, 147 AO und spezialgesetzlichen Vorgaben.
Nutzenbilanz
Unternehmen, die ein automatisiertes Fremdfirmen‑Dashboard betreiben, berichten eine Reduktion ungeplanter Anlagenstillstände um 12 %, eine 30 % schnellere Abwicklung behördlicher Nachfragen und deutliche Vorteile in ESG‑Ratings.
Schnittstellen beider Systeme
Prozessphase
Auftraggeber
Fremdfirma
Gemeinsame Dokumente
Vergabe
Lastenheft, Qualifikationsmatrix
Präqualifikationsmappe
Pre‑Qualification‑Checkliste
Planung
Betriebsanweisung, Verkehrswegeplan
Gefährdungsbeurteilung
Koordinations‑GBU
Ausführung
Baustellenbegehung, Spot Checks
Tagesbericht, Abweichungsprotokoll
Joint Daily Log
Überprüfung
Fremdaudit, KPI‑Review
Interner Auditbericht
Audit‑Scorecard
Abschluss
Leistungsabnahme, Lessons Learned
Abschlussbericht
Combined Close‑out‑Report
Die Schnittstelle kulminiert in der gemeinsamen Gefährdungsbeurteilung: Erst wenn beide Parteien ihre Risiken konsolidieren, entsteht ein vollumfängliches Bild der Exposition – Voraussetzung für § 8 ArbSchG‑Konformität
Dokumente der kontinuierlichen Eigenüberwachung – Detailanalyse
Kategorie
Typischer Inhalt
Erforderliche Metadaten
Häufige Mängel
Best‑Practice‑Hinweis
Gefährdungs‑dokumente
Tätigkeits‑ und Stoffbeschreibung, Schutzmaßnahmen
Arbeitsbereich, Datum, Version, Prüfer
Veraltete Versionen, fehlende Unterschriften
QR‑Code‑basierte Versionierung
Audit‑Unterlagen
Checklisten, Abweichungslisten, CAPA‑Plan
Auditteam, Scope, Auditkriterien
fehlende Wirksamkeitsprüfung
„5‑Why“‑Analyse zwingend dokumentieren
KPI‑Reports
KPI‑Score
Berechnungsformel, Datenquelle
fehlende Plausibilitätsprüfung
Automatisches Pull aus Sensor‑DWH
Schulung & Unterweisung
Agenda, Teilnehmerliste, Ergebnisse
Trainer, Qualifikationsnachweise
Unleserliche Scans, DSGVO‑Verstöße
Digitale Signatur und Bi‑Lingual Templates
Event‑Logs
Alarm, Near‑Miss, Incident
Zeitstempel, Geodaten
Lückenhafte Zeitachsen
Blockchain‑Time‑Stamping
Handlungsempfehlungen
Vertraglich klare Schnittstellen: Pflichtenmatrix beigelegt, wer welches Dokument erstellt, freigibt und archiviert – vermeidet Grauzonen.
Bewusste Sanktionensystematik: Stufung von Abmahnung bis Kündigung bzw. Umsatzbuße sorgt für positive und negative Anreize.